Illusionen des Verstehens beim Lesen
Die Literaturgattung zu kennen - ist Voraussetzung des Verstehens
Wir sind seit der Schulzeit geübt darin, Texte zu lesen und zu verstehen: Nachrichten, Werbung, Liedtexte, Erzählungen und Romane, Märchen, Fabeln, Sachbücher, Gebrauchsanweisungen; Berichte...
Wir brauchen dies, um uns mit anderen Menschen zu verständigen, die gerade nicht hier sind - kurz und knapp per Whatsapp, manchmal auch noch durch einen längeren Brief oder durch Bücher.
Doch Desinformationskampagnen und Fakenews, dazu die viele Werbung lassen Zweifel aufkommen, ob das stimmt, was wir lesen.
Nun, bei einem Märchen werde ich mich nicht wundern, wenn darin sprechende Tiere vorkommen und dies nicht als Lüge bezeichnen. Wir haben von Kindheit an gelernt, Märchen zu verstehen. Niemand wird fragen, wo genau Rotkäppchen gewohnt hat, wie ihr richtiger Name war und der ihrer Eltern.
In der Bibel finden wir die verschiedensten Literaturgattungen, solche, die wir aus dem Alltag kennen wie Liebesgedichte und solche, die heute ungebräuchlich sind und die wir darum leicht missverstehen können oder als unverständlich abtun.
Lange war es für Christen selbstverständlich, dass Gott selbst durch sein Wort in der Bibel zu uns redet. Ihre Texte galten als heilig und wurden darum auch nicht mehr durch Hinzufügungen oder Weglassungen geändert.
Sie beginnt mit zwei sehr verschiedenen Schöpfungsgeschichten. Das hat lange niemanden gestört, genauso wie die anderen in mehrfacher Gestalt niedergeschriebenen Texte nicht. Wichtig war: Gott spricht durch sie zu mir / zu uns. Ich muss darüber nachdenken, was ER mir damit sagen will.
Die äußerlichen Widersprüche der beiden Erzählungen stören nicht, sobald der Leser die Botschaft der Texte versteht, wie sie uns heutzutage durch dieses Computerbild sichtbar gemacht werden kann.
www.chrisharrison.net/projects/bibleviz/index.html
Unterschiedliche literarische Mittel wurden eingesetzt, um dieselben Aussagen dem Leser bildhaft verständlich zu machen:
- Unsere Welt und der Kosmos sind Gottes Werk.
- Es ist das Werk eines Gottes, nicht das von vielen Göttern.
- Gott und Mensch sind durch die Ebenbildlichkeit / seinen Geist auf das engste aufeinander bezogen.
- Der Mensch exisiert als Mann und als Frau, um sich zu mehren / Kinder zu bekommen.
- Der Mensch hat eine besondere Beziehung zu den größeren Tieren, doch können sie ihm den anderen Menschen nicht ersetzen.
- Die Pflanzen dienen zur Nahrung von Mensch und Tier.
Gegensätzliche Ausagen, die zeigen, was für uns unwichtig ist zu wissen:
- Wie Gott die Welt erschaffen hat: Durch sein Wort oder durch sein praktisches Handeln und Ausprobieren.
- Was es schon gab, als Gott die Welt erschuf: Das Wasser / ein Chaos / Tohuwabohu bzw. die Erde, auf der noch keine Pflanzen wuchsen, weil Gott es noch nicht hatte regnen lassen.
- Die Nennung all dessen, was Gott erschuf.
- Die Reihenfolge der Erschaffung von Mensch und Tier bzw. der Erschaffung des Menschen in seiner Zweiheit von Mann und Frau.
Zusätzliche Aussagen
- der 1. Schöpfungserzählung: die Gestirne wie Sonne, Mond und Sterne, die in den damaligen Hochkulturen als Götter verehrt wurden, sind nur Lampen, die Gott zwecks Zeiteinteilung an das Himmelsgewölbe gehängt hat.
- Mann und Frau bekommen den Auftrag, sich die Erde untertan zu machen und über alle Tiere zu herrschen.
- Die Schöpfung wird auf 6 Tage verteilt und mit der Ruhe Gottes am 7. Tag, das Gebot des Ausruhens des Menschens nach 6 Tagen Arbeit am 7. Tag begründet (Das Sabbatgebot als 4. Gebot). Diesen 7. Tag segnet und heiligt Gott.
- der 2. Schöpfungsgeschichte:
- Das Bild vom Garten Eden und seine geographische Lokalisierung im Zweistromland.
- Der Mensch soll ihn bebauen und bewahren (2,15)
- Die Überleitung zur Sündefallerzählung durch den Hinweis auf den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen mitten im Garten und das Verbot an den Menschen, davon zu essen. (2,9, 16+17)
- Der Mensch gibt den Tieren Namen.
- Die Erschaffung zuerst nur eines Menschen und erst danach die Erschaffung von Mann und Frau aus dem einen, in dem ihm eine Rippe entnommen wird.
- Die Erwähnung, dass Mann und Frau nackt waren und sich nicht voreinander schämten.(2,25)
Langatmig oder spannend?
In der Bibel gibt es viele Wiederholungen. Wenn man solche Texte hintereinander liest, fragt man sich: Was soll das? Geht das nicht kürzer, zum Beispiel in der Sintflutgeschichte 1. Mose 6-9:
In der Regel muss man erst darauf aufmerksam gemacht werden, dass da nicht einer diese Geschichte erzählt, sondern zwei, denn der Text wird fortlaufend abgedruckt und die beiden Erzähler unterbrechen sich zum Teil mitten im Satz.
Wenn man aber erkannt hat, dass da zwei verschiedene Versionen der Erzählung von der Sintflut zu einen Text zusammengeführt wurden, dann wird es spannend. Wie war es möglich so etwas zu Papier zu bringen und dann noch über die Jahrtausende unkorrigiert zu überliefern, so dass all diese Widersprüche erhalten blieben, Widersprüche, die man auch in Übersetzungen eindeutig sehen kann, erst recht im hebräischen Urtext? Mir ist kein zweiter Text in dieser Art bekannt. Darum wurden die Leser auch immer wieder verleitet, den Text zu harmonisieren und die ihnen paassendste Version beim Nacherzählen zu benutzen, in der Regel die, in der Noah von jeder Tierart zwei mit auf die Arche nimmt.
Und dann gibt es immer noch Christen, die meinen, wir müssten glauben, d.h. für wahr halten, dass dies wirklich mal so passiert ist. Ja, - aber welche Version? Beide geht ja schlecht?
Tatsächlich aber zeigt das Vorhandensein von zwei so unterschiedlichen Versionen, was z.B. die Anzahl der Tiere und die Dauer der Sintflut betrifft, dass es gerade nicht auf ihre Zahl ankommt, sondern dass es um etwas ganz anderes geht:
- Wir sollen und brauchen nicht zu wissen, ob dies hier Erzählte sich wirklich so vor x- Jahren zugetragen hat und wie es dem Noah und seiner Familie bzw. den anderen Menschen ergangen ist.
- Wichtig ist, dass wir uns selbst in dieser Erzählung wiedererkennen. Denn dies ist die Funktion dieser Literaturgattung, der sogenannten "Urgeschichten" , die sowohl Welterschaffungs- wie gleichzeitig Weltvernichtungserzählungen enthalten und die man in sehr vielen Kulturen vorgefunden hat. Anhand der geschiclderten Gefahren knn man sehen, wo sie einst entstanden sind.
Die Menschen, die an großen Flüssen lebten, kannten die Gefahren von Überschwemmungen, jene die in Städten wohnten, die Gefahr von Bränden, von Feuer. In der biblischen Sintflutgeschichte geht es um die Gefahr durch Wasser, in der vom Untergang Sodoms und Gomorrhas durch Feuer.